Originaltitel: Face It
Aus dem Amerikanischen von Philip Bradatsch, Torsten Groß, Harriet Fricke und Frank Dabrock
©2019 by Deborah Harry
©2019 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München
ISBN 978-3-453-27162-3
ca. 429 Seiten
COVER:
Debbie Harry ist Musikerin, Schauspielerin, Aktivistin und der Inbegriff des New York City cool. Sie und ihre Band Blondie entwickelten einen neuen Sound, der die Welten des Rock, Punk, Disco, Reggae und Hip Hop verschmolz und dabei einige Klassiker der Musikgeschichte schuf. Als Muse arbeitete sie mit den größten Künstlern der letzten vier Jahrzehnte zusammen. Doch trotz eines Lebens im Rampenlicht behielt sie ihr Innenleben immer für sich – bis jetzt.
In einer Mischung aus offenherzigem Storytelling und vielen eindrucksvollen Fotos, Fan-Art-Bildern und Illustrationen – viele davon bis jetzt unveröffentlicht – bietet FACE IT sehr viel mehr als die übliche Musikerbiografie. Es ist das umfassende Porträt einer echten Ikone.
Die wilden Siebzigerjahre in New York City, in denen Blondie neben den Ramones, Television, Talking Heads, Iggy Pop oder David Bowie zur Speerspitze der Punkbewegung aufstiegen, werden mit all dem Dreck und Rotz der damaligen Zeit lebendig. Debbies Memoiren folgen ihrem Weg vom Nummer-eins-Erfolg zur Heroinsucht, der schweren Krankheit ihres Weggefährten Chris Stein, einem herzzerreißenden Bankrott, der Auflösung von Blondie, einer facettenreichen Karriere als Schauspielerin in über dreißig Filmen, einer erfolgreichen Solokarriere, dem triumphalen Comeback der Band und ihrem nimmermüden Einsatz für Umweltschutz und die Rechte der LGBTQ-Community.
FACE IT ist die kinoreife Geschichte einer Frau, die ihren eigenen Weg gegangen ist und für viele nachfolgende Künstlerinnen als Vorreiterin neue Standards gesetzt hat. Wir treffen auf viele glamouröse Weggefährten, die über die Jahre Debbies Weg gekreuzt haben – von Andy Warhol über Jean-Michel Basquiat, Marina Abramovíc, David Cronenberg bis John Waters. Sie alle sind Teil einer unterhaltsamen, oftmals schockierenden, bewegenden, witzigen und auch Augen öffnenden Autobiografie.
REZENSION:
Im Gegensatz zu meinen üblichen Buch-Genres kann es sicherlich nicht schaden, den Horizont etwas zu erweitern und sich somit einer ganz interessant klingenden Autobiografie zu widmen. Es handelt sich dabei um das Leben Deborah Harrys – besser bekannt als Debbie Harry und ganz besonders bekannt als Blondie.
Gedanklich konnte ich mich diesem Werk komplett unaufgeregt widmen, da Blondie mir zwar bekannt war, ich einige Songs sehr gerne mochte und mag, ein Doppelalbum mein eigen nenne, dennoch keine Fan-Attitüden entwickelte. Nichts desto trotz bin ich ein großer Fan der von ihr bedienten Musiksparte und somit weckte FACE IT ausreichend Interesse in mir.
Wie sich dabei herausstellen sollte, wurde ich auch keineswegs enttäuscht.
FACE IT ist nicht neben den erzählten Erlebnissen der Ausnahmekünstlerin eine Hommage an ihre Fans. Dies zeigt sie insbesondere an der Vielzahl an Fan-Art-Zeichnungen und Bildern, die in diesem Buch zum Teil erstmalig veröffentlicht worden sind.
Neben der Vielzahl an wundervollen künstlerischen Werken lässt uns Debbie an ihrem Leben teilhaben. Als Fan oder Beobachter von Berühmtheiten geht man oft davon aus, dass eine berühmte Klientel auch sogleich im Gelde schwimmt – auch Debbie Harry beweist in ihrem Werk das Gegenteil und ich bin erneut erschüttert, wie ausbeuterisch die Schlipsträger gegenüber von Künstlern auftreten. Bei Blondie ist die gesamte Band laut dieser Biografie während ihrer erfolgreichsten Phase eigentlich am tiefsten Punkt ihres Lebens. Kein Geld, eine Tour jagt die andere, künstlerische Freiheiten werden aufgrund von Verträgen eingeschränkt, Drogen bestimmen den Tagesrhythmus. Nichts desto trotz ist Debbie Harry eine Sperrspitze für die Rolle der Frau und konnte damit – wohl unbewusst – bestimmt einige Wege für nachfolgende Generationen bereiten.
FACE IT macht unglaublich viel Spaß und funktioniert auch bei „Nicht“-Fans, da es schlicht ein Spiegelbild der damaligen Zeit darstellt. Als einzigen Vorwurf könnte ich ihr die etwas fehlende Lebendigkeit und persönliche Tiefe vorwerfen. Es fehlen schlicht die Emotionen – gleichzeitig kann ich dies aber auch ganz gut verstehen, da sie wohl nicht zu viel persönliches von sich preisgeben möchte – es handelt sich ja bei FACE IT glücklicherweise nicht um einen Nachruf, sondern um ein Werk einer rundum interessanten Frau mit einem Leben voller Punk, Drogen und dem Kampf um Anerkennung.
FACE IT zeigte mir, dass auch Autobiografien überzeugend, interessant und nachdenklich wirken können. Ein kleiner Blick durch das Schlüsselloch in ein fremdes Leben. Wahrlich ein interessantes Werk mit einem positiv klingenden Nachhall.
Schön, dass ich eine nur am Rande betrachtete Künstlerin neu entdecken konnte.
Jürgen Seibold/10.12.2019
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