Anthologie: Fleisch 2

© Eldur Verlag, Aachen

ISBN 978-3937419183

COVER:

Auch Fleisch 2 ist wie sein Vorgänger ein kompromisslos abstoßendes Sammelsurium kranker Phantasien. 16 zum Teil sehr bekannte Namen der Horror-Literatur-Szene haben dazu beigetragen. Zur erneuten Achterbahnfahrt der Seele – und bei empfindlichen Personen auch des Magen-Darm-Traktes.

REZENSION:

Lang genug hat es gedauert, bis es einen Fortsetzungsband zu FLEISCH geben sollte.

Wie bereits im Erstling ist hier das Konzept recht schnell erzählt: Autoren, lasst die Sau raus und schei… auf übliche Einschränkungen.

Genau dieses Konzept sorgt dafür, dass die Autoren – eine echte Creme-de-la-Creme der deutschen Horrorlandschaft – kein Blatt vor den Mund nehmen und den Leser somit auf eine blutige und oft auch sexuell angeheizte Tour de Force mitnehmen.

Dabei sei definitiv davor eine Warnung zu beachten: Dünnhäutige Personen sollten unbedingt die Finger vor dem ersten und insbesondere auch dem vorliegenden Band lassen.

Interessanterweise sind die Geschichten durchweg von hohem Niveau – natürlich gibt es die ein oder andere Story, die einem als Leser nicht hundertprozentig überzeugt; interessanterweise kann man aber trotzdem nicht loslassen und somit blättert man trotz hohem Ekel- und Blutfaktor von Seite zu Seite beziehungsweise Geschichte zu Geschichte. Jeder für sich eine Perle, mal mehr mal weniger überzeugend, jedoch im Gesamtkontext ein absolut irrer Kurzgeschichtenband voll mit interessanten Ideen und ausschweifenden Details.

Ich möchte jetzt nicht unbedingt auf jede Geschichte eingehen, da ich ebenfalls dazu gezwungen worden bin, von Story zu Story zu rasen – Ich versuche aber dennoch auf manch eine einzugehen:

Los geht es dabei gleich mit Torsten Scheibs DEMENTIA, welches ganz simpel mit einem Freier auf der Suche nach ein wenig sexueller Abwechslung zu beginnen scheint. Tja, dabei bleibt es nicht, denn der ursprüngliche Grund eine Prostituierte aufzugabeln ist dann doch ein gänzlich anderer…

Sehr überraschende Wendung, die einen schon am Anfang atemlos zurücklässt – Nun, das war dann doch die erste Story und schon geht es mit Peter Lancesters Geschichte aus dem OP weiter. Diese Story ist wirklich schräg – interessanterweise fühlt man sich dann aber urplötzlich dabei ertappt, wie man als Leser plötzlich zu schmunzeln beginnt. Leider fast ein wenig zu kurz, da der darin enthaltene, subtile Witz doch umfassend überzeugen konnte.

Weiter geht es mit der doch recht langen Kurzgeschichte „Der Koch“ von John Aysa, in der detailreich die Entstehung eines mehrgängigen Menüs dargelegt wird. Die Story ist ziemlich unappetitlich – gleichzeitig aber so gut geschrieben, dass man nur noch eine Verneigung vor dem Autor übrig hat. Man muss dabei nur aufpassen, den Gedanken nicht aufzunehmen und dabei hungrig zu seinem Partner zu blicken…

Piper Marous „R“ ist sogleich wieder erheblich kürzer und wir begleiten eine blutige Folterung mit Hintergedanken. In meinen Augen im Vergleich zu den bisherigen ein klein wenig nicht ganz meine Geschichte – aber trotzdem hochwertig in der Umsetzung.

Thomas Williams „Pornozismus“ handelt nun von einem Exorzismus der besonderen Art und wir befinden uns in einer sehr brutalen Geschichte in der sehr packend der Exorzismus nicht nur vollzogen, sondern auch auf Zelluloid gebannt wird. Was genau der Godfather of F… dabei treibt würde hier bei einer Beschreibung nur zu einer fehlenden Freigabe der Rezi bei manch einem Portal ergeben.

Selbstverständlich dreht sich urplötzlich die Situation, da der Dämon ein eigenes Spiel treibt.

Sehr überraschen die Geschichte des Autorenduos Markus Kastenholz/Peter Lancester, die nicht ganz so brutal und blutig wirkt aber sehr genial geschrieben ist und dadurch rundum überzeugen kann.

Sönke Hansen dreht dann als nächstes den irren Show-Wahnsinn mit „Kill the Show-Show“ in ungeahnte Höhen. Diese Geschichte ist sehr erschreckend, da nicht nur kranke Realitysendungen beschrieben werden, sondern auch noch dem Ganzen ein Tüpfelchen auf das kranke „i“ gesetzt wird. Eingängig geschrieben, sicher nichts für jeden, aber dennoch ein klein wenig kritisch, was die Entwicklung der vorherrschenden Medienlandschaft betrifft.

In eine gänzlich andere Welt führt uns Antje Ippensen mit „Welt in Fetzen“. Nun befinden wir uns in der Schule, in der die Schüler durch Medikamentenverabreichung zu braven, willenlosen und stillen Zuhörern gemacht werden. Wie sich herausstellt, zeigen diese Medikamente bei der Hauptdarstellerin keine Wirkung…

„Welt in Fetzen“ ist dabei in diesem Band die Story, die einen wohl am Nachdenklichsten zurück lässt, was aber auch nur für deren Qualität spricht.

In Rosa Lebers „Wunschkind“ begleiten wir eine Ärztin, die unbedingt ein Kind bekommen möchte. Sie holt sich dabei Hilfe und wird tatsächlich schwanger – doch über das, was dann den Weg aus ihrem Körper sucht, möchte ich hier nicht sprechen…

Sehr eklig aber mit einem durchweg gelungenen Stil erzählt. Rosa Leber kannte ich bisher noch nicht – werde ich mir aber zur Sicherheit wohl merken.

Als ich Alisha Godoys „Olga“ zu lesen begann, fragte ich mich Anfangs des Öfteren, wie naiv die Protagonistin ist – aber solche Menschen scheint es ja zu geben…

Jedenfalls versucht sie sich in der fremden Stadt ein wenig Geld nebenbei zu verdienen und landet nach verschiedenen unterschiedlichen Jobversuchen bei einer Food-Company als Testesser. Man ahnt sehr schnell, was sie dabei verzehrt – nichts desto trotz kann man sich auch dieser Kurzgeschichte nicht entziehen, da diese kurz gesagt einfach Spaß macht.

„Audreys Baby“ von Sören Prescher führt uns zu einer knackigen, kurzen Geschichte eines Babysitters, der nach dem Aufwachen plötzlich seinen Schützling vermisst.

Eine grandios erzählte Geschichte, die leider viel zu schnell an des lesers Augen vorbeizieht.

Sehr makaber wird es dann bei Torsten Exter in „Ein Geschenk der Hölle“. Vor der Tür des eigenartigen Hinterwäldlers Damian stehen eines Tages zwei hübsche Schwestern, die eine „Frohe Botschaft“ vermitteln möchten. Ehrlich gesagt, dachte ich zu erst an christliche Klingelputzer, die dann von Damian „verputzt“ werden – ich sollte mich aber irren, da die Geschichte interessanterweise einen ganz anderen Weg zu beschreiten begann. Erneut ein Highlight in diesem Band (wie gesamt betrachtet irgendwie jede…)

Deftig wird es bei Michael Hauensteins „Hammelfleisch“. Hier bereitet sich der Protagonist auf ein Grillfest mit seinen Freunden vor – von Hunger überkommen ist er schon mal vorab etwas von diesem Fleisch, welches – wie sich herausstellen sollte – durch kein einziges Etikett markiert zu sein scheint. Mit einem komischen Gefühl im Magen beginnt eine sehr deftige und brutale Geschichte, die ebenfalls sehr gut erzählt worden ist.

Mit einem Psychopathen konfrontiert werden wir in Peter Lancesters „Sehen sie es ein?!“

Die Protagonistin erwacht gefesselt in einem fremden Bett und schon geht es los mit einer durchweg toll erzählten Rachegeschichte, in der Frau Hildebrandt nun endlich mal etwas einsehen soll.

Peter Lancester konnte mich schon des Öfteren mit seinen Geschichten und auch Romanen durchweg überzeugen – hier ist es definitiv nicht anders.

Ebenso ging es mir bisher bei Markus Kastenholz der hierin noch mit „Jenseits der Gleise“ aufwartet. Diese Geschichte über den allein lebenden Einsiedler Brock, der täglich auf der Suche nach Fundstücken am Bahndamm entlang spaziert, dabei eine Sucht entwickelt, die nicht verstörender sein kann…

Kastenholz ist dabei ein Garant und integriert hier in diesem Band eine schöne Gruselgeschichte, die mir außerordentlich gut gefallen hat. Sehr interessante und begeisternde Umsetzung.

Als nächstes begeben wir uns in ein Gefängnis, denn Thomas Backus schnappt sich vorherrschende Vergewaltigungsklischees in seiner Geschichte „Frischfleisch“ und lässt uns dabei teilhaben, wie sich sechs Schwerverbrecher an dem Gefangenen Martin vergehen. Selbstverständlich ist es auch hier so, dass nichts ist wie es scheint, denn der unscheinbare Martin birgt etwas in sich, womit die Vergewaltiger schlicht nicht rechnen konnten.

Eingängige und fesselnde Erzählweise und dabei gleichzeitig ein Genresprung. In meinen Augen eine zwar nicht witzig erzählte aber doch witzig wirkende Geschichte, die mich ein klein wenig schmunzelnd zurückließ – Tja, warum nicht einfach mal den Spieß umdrehen?

Darauf folgend eine sehr schnelle Geschichte, denn Cassandra Schwartz gibt einfach mal Gas und schon befinden wir uns in einer wahrlich rasanten, sexuell aufgeladen Geschichte mit dem aussagekräftigen Titel „Gib Gas!“.

Kurzum: Ein Pärchen steigt ins Taxi und verlangt vom Fahrer entgegen jeglicher Straßenverkehrsordnungsvorschriften einfach auf die Tube zu drücken – im Fond des Wagens verlustieren sich dabei die beiden und dabei steigt die Lust mit aufkommendem Tempo des Fahrers, der sich natürlich manchen Blick in den Rückspiegel nicht verkneifen kann.

Eine absolut rasante Geschichte, die einfach nur Spaß macht und deshalb erneut eine absolut überzeugende Story in diesem hochwertigen Band.

Was denkt man nicht oft als kleiner Junge, wenn man dem Mobbing und der Tyrannisierung älterer Mitschüler ausgesetzt ist.

Bernhard Giersche lässt dieses „Kleines Senfkorn“ wachsen und somit trifft der kleine, gemobbte Schüler Jahrzehnte später wieder auf seine Tyrannen. Natürlich hat er sich diesmal bewusst darauf vorbereitet…

Wieder mal eine kleine Racherunde, aus der niemand herauskommt. Geschickt geschrieben und somit befinden wir uns am Ende meiner Rezension, die nun doch urplötzlich auf jede Perle in wenig eingegangen ist.

Ich denke, es ist so gut wie alles gesagt – FLEISCH 2 ist ein würdiger Nachfolger, wenn nicht sogar noch einen Deut besser als der vor Jahren erschienene Erstling.

Wer sich vor absolut nichts ekelt und Geschichten nicht mit tiefgehenden Gedanken unterfüttert, sondern einfach nur mal auf eine andere – teils eklige – Art unterhalten werden möchte, kann hier definitiv nichts falsch machen.

Ich jedenfalls bin sehr froh, dass dies auch gleichzeitig ein Lebenszeichen des vor Jahren sehr aktiven und durchweg überzeugenden Eldur-Verlages ist. Ich freue mich schon sehr auf weitere Veröffentlichungen dieser Perle im Verlagswesen und ziehe auch gleichzeitig meinen Hut vor Markus Kastenholz und Peter Lnacester, die sich diesem Werk nicht nur als Schreiber sondern auch als Herausgeber angenommen haben und dabei ein sehr guten Händchen in der Auswahl der beteiligten Geschichten bewiesen haben.

Chapeau

Jürgen Seibold/16.01.2015

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